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Radio? Oh je!

Von hb am 8. Dezember 2012 um 01:12

Ich gehöre wohl einer Sandwitchgeneration an. Als ich auf die Welt kam, gab es DAS Fernsehen. Also vier Kanäle und jede Menge Testbilder. Gleichzeitig war da noch ein anderes Medium: das Radio. Also dieses staubige Wesen, das früher noch per Volksempfänger verbreitet wurde. Jedenfalls habe ich nie einen Zugang zum Radio gefunden, obwohl das Fernsehen vergleichsweise jung, unausgereift und abwechslungsarm war. Mich hat es nie gereizt, zwischen viel Rauschen auf UKW-Jagd zu gehen.

In diesem Jahr habe ich mir zwangsweise einen Empfänger ins Haus geholt, weil ich eine Kompaktanlage für meine Hörbücher haben wollte. Seitdem schalte ich öfters dieses Radioding an und aus. Als Wecker gemütlicher als der Dauerpiepton im Akkordanschlag. Jahrelang war also das erste Geräusch, das mich aus seligem Tiefschlag und verträumten Welten gerissen hat, ein elektronischer Hämmern am Anschlag.

Aufschieber, der ich bin, neige ich zur exzessiven Benutzung der Schlummertaste. Jeder Morgen ein Debakel zwischen geträumter Phantastik und dem reflexartigen Peitschen nach elektronischen Knöpfen. Ein stetes Ringen, bis irgendwann der Nervton gewinnt, weil auch mein Gewissen aufwacht. Oder die Blase.

Jedenfalls begleiten mich neuerdings melodische Klänge aus dem Radio im Kampf um das Aufrichten. Brechen wir an dieser Stelle ab, ein Hoch auf das Radio.

Eine Kleinigkeit wäre da noch: Schläft man wie ich ganz dekadent mit Minifernbedienung im Bett, nutzt eine voreingestellte Lautstärke überhaupt nichts. Egal, ob ich Uhrzeiten vorstelle, um pünktlich aus dem Haus zu kommen, oder eben hier das Radio sich extra laut entfalten lasse, ich kann mich einfach nicht selber austricksen. Besonders in dunklen Wintertagen zeigt sich, daß bei mir sämtliche Weckmaßnahmen versagen. Schlummertasten erwische ich mit geschlossenen Augen reihenweise, egal von wievielen Weckern und egal in welchem zeitlichen Abstand. Sonic Boom! Laute Musik? Fernbedienung! Ich wache aber seltsamerweise genau dann auf, wenn sich das Radio dank Zeitschaltfunktion wieder ausschaltet. Wir reden hier von einem Zeitfenster von 50 Minuten, in dem die Gerätschaften um meine Aufmerksamkeit ringen...

Egal. Dieses Radio jedenfalls sollte mir trotz später Entdeckung doch eigentlich ganz sympathisch sein. Gemütliches Erwachen (oder auch nicht) und das Sprungbrett für so manchen Komiker, den ich schätze. Ein gewisser Herr Kalkofe und Herr Panzer seien hier exemplarisch genannt. Der kleine Nils, Frühstück bei Stefanie, Der kleine Erziehungsratgeber, alles Formate mit Auge und Hirn. Versüßen mir manchen Augenblick und bringen mich dazu, kurz nachzudenken. Alltagshumor, funktioniert immer und am besten.

Doch was ist, wenn ich gezielt morgens etwas Radio hören will? Bißchen gute Musik und ein paar Kippen fressen. Nachrichten, Werbung, Staumeldungen. Ein kurzer Song, der mir nicht gefällt. Werbung, Nachrichten, Staumeldungen, Gewinnspiele. Ein Song, der halb wegmodiert - also weggequatscht - wird. Flitzerblitzer. Nachrichten. Zwischen 6 und 9 Uhr scheinbar flächendeckend auf allen Stationen. Ja, ganz Deutschland pendelt irgendwohin. Ein Sender wirbt extra damit, daß die Verkehrsmeldungen sogar vor den Nachrichten kommen.

Was mich zu dem Schluß bringt, daß nicht nur in der Zeit ganz Deutschland im Auto vorm Radio hängt und orientierungslos den Weg zur Arbeit sucht. Kurzpendler verfahren sich auf die Autobahn, wissen dank Radio aber direkt bescheid, in welcher Region sie für einige Kilometer frei parken dürfen. Oder direkt umdrehen. So kriegt man noch vor Schichtbeginn seine 5 Minuten Ruhm ("Geisterfahrer auf der A7, bitte Vorsicht"). Diejenigen, die nicht aus Versehen im Halbschlaf auf die Autobahn gefahren sind, haben verschlafen und sind spät dran. Die gestreßten und streßenden Frühdrängler haben aber ein elementares Problem. Ihr Fahrstil sorgt dafür, daß die Lohntüte direkt zu Vater Staat wandert. Also muß umfassend darauf hingewiesen werden, in welchem Gebiet man kurzeitig und ausnahmsweise auf die Bremse treten sollte. Flitzer, besser bekannt als Verkehrrisiko und Unfallverursacher, brauchen dann Hinweise, wo sich 70 Stundenkilometer empfehlen, weil die Verkehrszeichen ja eigentlich sonst keine Relevanz haben. Dieses Runde Schild mit der 70 drauf muß irgendeine Anfängerhilfe sein. Mindestgeschwindigkeit. Hey, seht alle her, wie gut ich Auto fahren kann. Mit 100 durch die Ortschaft, obwohl sie gar nicht dafür ausgelegt ist. Applaus, Applaus.

Sitze ich inmitten dieses Chaos daheim vorm Volksempfänger und will nur etwas Musik hören, habe ich die Arschkarte. Keine ruhigen Klänge einiger Instrumente - oder zumindest Blechdosen. Nein. Gelaber. Hinweise. Hektik. Ja, ihr habt mich erwischt, liebe Radiomacher. Mein erster Gedanke am frühen Morgen dreht sich entweder um Weltpolitik oder rasende Autos. Aber es gibt glücklicherweise noch das Fernsehen, über das ich mich den ganzen Tag aufregen könnte. Das Experiment geht also weiter.

HQ