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Kingdom Come: Deliverance

Die Rassismus-Debatte von Kingdom Come: Deliverance

Darf ein "realistisches Rollenspiel" unabhängig von seinem Künstler bewertet werden?

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Kingdom Come: Deliverance erscheint in guten drei Wochen und trotzdem wurden schon in der vergangenen Woche harte Vorwürfe am Spiel, genauer gesagt an seinem Entwickler, dem Mitbegründer von Warhorse Studios und Lead Designer Daniel Vávra, laut. Jan Heinemann, ein deutscher Student für Geschichts- und Politikwissenschaften mit theoretischem Fokus, hat auf seinem Blog einen Artikel über das kommende Rollenspiel von Warhorse Studios verfasst und damit eine emotional aufgeladene Debatte entfacht.

Im Beitrag macht Heinemann eine Vielzahl an Vorwürfen zur Person Vávras, dem vermeintlichen Realismusgrad des mittelalterlichen Rollenspiels und der Medienrezeption deutscher und internationaler Journalisten kenntlich. Der Entwickler sei ein Menschenfeind mit geschichtsrevisionistischem Weltbild, das Spiel der wahr gewordene Traum eben dieses Rassisten und die Medien und Spielejournalisten dafür verantwortlich, dass diese Botschaft ein so großes Publikum erreicht. Woher diese Anschuldigungen kommen, wie sie begründet sind, was die Verantwortlichen dazu zu sagen haben und welche Schlüsse ihr daraus ziehen solltet, das alles betrachten wir mit etwas zeitlichem Abstand.

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Auf der Gamescom 2017 trug Vávra das Shirt, das ihr auch im oberen Videointerview seht - es handelt von der Band "Burzum" des norwegischen Künstlers und verurteilten Mörders Varg Vikernes. Heinemann unterstellt Vávra mit dem Tragen dieses T-Shirts die Bewerbung der politischen Botschaften dahinter, Vávra selbst sagt das dazugehörige Album sei gut und es war "dumm" das Shirt auf einem öffentlichen Event zu tragen.
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Das grundlegende Problem dieser aufgeheizten Debatte verdankt das Spiel seinem eigens-kommunizierten Anspruch auf Authentizität. Die Presselandschaft und Gaming-Journalisten im Besonderen haben Kingdom Come: Deliverance schon in frühester Vorstellung einheitlich als besonders authentisch betitelt - auch wir hier bei Gamereactor schrieben das, etwa in unserer aktuellen Vorschau. Wir wissen aber natürlich gar nicht was damals konkret passiert ist, wie die Welt wirklich aussah und welche Geschehnisse die Leute von damals prägten. Spieler wollen das im Kontext eines Spiels ja auch überhaupt nicht wissen, denn die Wirklichkeit abzubilden ist langweilig und hat mit Spaß nicht sonderlich viel zu tun. Heinemann studiert Politikwissenschaften und weiß daher, dass aus dem frühen Böhmen - dem Schauplatz des Rollenspiels - kaum valide Überlieferungen erhalten sind und der Begriff "Realismus" im Hinblick auf ein Unterhaltungsprodukt ohnehin nichts zu suchen hat. Trotzdem fällt er und zwar immer wieder. Zum einen behauptet das der Entwickler, zum anderen attestiert es die Presse.

Problematischer wird dieser Begriff im Zusammenhang mit dem verantwortlichen Lead Designer Daniel Vávra, der laut Heinemanns Recherchen ein strittig bis kontroverses Weltbild besitzt und damit den überall beteuerten Realismusgrad von Kingdom Come: Deliverance in ein gefährliches Territorium rückt. Heinemann hat in seinem Artikel Hinweise herausgesucht, die ein verzehrtes Weltbild Vávras aufzeigen und Grund zur Besorgnis vermitteln. Basierend auf den sozialen Aktivitäten des Entwicklers macht der Journalist deutlich, dass Vávra wissenschaftliche Erkenntnisse missachtet und sogar wissentlich zu ignorieren scheint, sollten sie seiner persönlichen Weltsicht entgegenlaufen. Ebenfalls auffällig sind die Nähe zu frauenfeindlichem und revisionistischem Gedankengut, proaktive Kommentare im Gamergate-Sektor und die Furcht vor Unterdrückung der freien Meinung durch eine elitäre Lügenpresse.

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Die Gamestar hat Mitte der Woche eine offizielle Stellungnahme von Daniel Vávra und dessen Kollegen Martin Klima, dem Executive Producer des Spiels, erhalten. Beide Entwickler räumen Schwierigkeiten in der Kommunikation und persönliche Fehler ein, weisen die Vorwürfe jedoch entschieden und sehr akribisch zurück. Vávra selbst sei kein Rassist, denn seine Familie habe die Gräueltaten der Nationalsozialisten damals selbst miterlebt und kann solche Botschaften deshalb auf keinen Fall gutheißen. Er entschuldigt sich für sämtliche Äußerungen, die im Zuge diese Debatte „aus dem Kontext gerissen" wurden, um ihn nun zu belasten und sein Team und deren gemeinsame Arbeit zu bedrohen. Manche Aktionen seien dumm gewesen, bei anderen Dingen hätte man mehr nachdenken sollen, erklären die beiden Verantwortlichen. Anschließend werden wissenschaftliche Erkenntnisse erläutert, die die getroffenen Entscheidungen des Studios im Spiel abdecken sollen.

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Die Entwickler von Warhorse Studios wollen also keine Rassisten sein, die schwerwiegendsten Vorwürfe sind entkräftet und die Presse hat - zumindest partiell - endlich ihre Arbeit gemacht. Doch was lernen wir aus diesem für alle Seiten sehr unangenehmen Exempel? Jan Heinemann stellt zum Abschluss seines Textes die Frage, ob eine Bewertung des Ausgangsmaterials von seinen Erzeugern getrennt erfolgen kann oder eben nicht. Kingdom Come: Deliverance wird höchstwahrscheinlich nicht die Realität abbilden, auch wenn es „realistisch", „authentisch" und „echt" rüberkommt. Der Titel wird wiedergeben, was Warhorse Studios kollektiv als anerkannte, auf den von ihnen eingesehenen Fakten beruhende Realität begreift. Das sollten wir hier bei Gamereactor eigentlich wissen und die Unterscheidung zwischen echter und erfahrener Wirklichkeit anstellen.

Etwas Gutes hat diese Kontroverse allerdings: Unabhängig davon, ob Kingdom Come: Deliverance eine perverse Verwirklichung von rassistischen und sexistischen Vorstellungen wird oder nicht, kann das Endergebnis für diesen Kontext nicht länger genutzt werden. Die Chefetage von Warhorse Studios hat sich ausdrücklich gegen solche Themen ausgesprochen und mit ihrer gemeinsamen Stellungnahme somit verhindert, dass bestimmte Personengruppen eventuelle Missstände im fertigen Produkt für sich einnehmen können. Was haltet ihr von all dem und werdet ihr nun vorsichtiger sein, wenn ihr euch dem Rollenspiel nähert?

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Kingdom Come: Deliverance
Daniel Vávra. Foto: Warhorse Studios

Wir möchten abschließend noch einmal ausdrücklich auf die internationale Quellenbasis von Heinemanns Blogeintrag aufmerksam machen, auf die beiden Statements von Daniel Vávra und Martin Klima hinweisen und uns bei denjenigen bedanken, die letzte Woche richtigen Journalismus betrieben haben. Im kompletten Artikel der Gamestar befassen sich die Kollegen im Detail mit allen Vorwürfen, falls ihr einen zweiten Kommentar zum Thema wollt, können wir euch den von Rainer Sigl auf derStandard.de empfehlen.

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