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Wolfenstein II: The New Colossus

Warum die deutsche Version von Wolfenstein II nicht "dieselbe Geschichte" erzählt

Laut den internationalen Entwicklern erzählen alle Fassungen von Wolfenstein II dieselbe Geschichte, nur in Deutschland eben ohne Hintergründe, Nazis oder die Opfer.

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In der deutschsprachigen Verkaufsversion von Bethesdas Nazi-Shooter Wolfenstein II: The New Colossus gibt es aufgrund der Paragrafen 86 und 86a des deutschen Strafgesetzbuches einige umfassende inhaltliche Änderungen im Unterschied zur internationalen Version des Spiels. Nazi-Parolen, die verfluchte Symbolik der Hakenkreuze und Hitler selbst sind für den hiesigen Markt ausgetauscht worden - teilweise lächerlich kleingeistig (dem deutschen Hitler hat Bethesda kurzerhand den ikonischen Bart abrasiert und nennt ihn nun "Kanzler Heiler"). Spieltechnisch verändert sich hingegen wenig, statt durch Nazi-Idioten schießen wir uns eben durch faschistische Regime-Abschaum.

Warum kommen wir bitte jetzt mit diesem Thema auf, knapp zwei Monate zu spät und so kurz vor der besinnlichen Weihnachtszeit? Auf dem Fun & Serious-Game Festival in Bilbao haben wir Machine Games getroffen und die Chance erhalten, mit dem Narrative Designer Tommy Tordsson Bjork und seinem Kollegen, dem Senior Game Designer Andreas Öjerfors, über die inhaltlichen Unterschiede in der deutschen Fassung zu sprechen und welche Intentionen das internationale Team dazu veranlasste, die jeweiligen Änderungen einzugehen:

"Wir arbeiteten viel an The New Order. Ich und Jens schrieben nur die Geschichte, die wir wirklich schreiben wollten und dann kamen die [deutschen Kontrolleure] und versuchten ihr Bestes, um daraus eine Geschichte zu machen, die so nahe wie möglich [an unserer Vorlage] stattfindet. Ich denke sie haben einen guten Job gemacht." erklärte Bjork.

"Ich glaube es ist wichtig zu sagen, dass wir viel Wert darauf gelegt haben sicherzustellen, dass die Geschichte die erzählt wird dieselbe Story bietet. Wir benutzen vielleicht verschiedene Symbole und Wörter, aber es ist dieselbe Gesichte, es ist derselbe Konflikt." rundete Öjerfors ab.

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Dieser Einschätzung können wir uns absolut nicht anschließen.

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Bethesda Softworks hat nämlich nicht nur die Nazi-Attrappen und Symbole durch Platzhalter ausgetauscht, sondern auch ausgerechnet hierzulande - dort wo diese Schrecken konkret geschahen - die Verweise auf die Opfer des zweiten Weltkrieges aus dem Spiel getilgt. Das Lokalisierungsteam löschte sämtliche Hinweise auf das Volk der Juden aus Wolfenstein II: The New Colossus und traut sich sogar, das Wort "Juden" teilweise mit "Verrätern" auszutauschen. Der Holocaust selbst wird ebenfalls geleugnet und grob mit dem Themenschwerpunkt "Gefangenschaft" ersetzt. Die Mutter des Protagonisten B.J. Blazkowicz (international eine Jüdin, hierzulande eine Polin) ist deshalb auch nicht in ein deutsches Konzentrationslager gesteckt worden, sondern starb irgendwo in Gefangenschaft - für die deutschen Spieler macht das offensichtlich ja keinen Unterschied aus, Machine Games würde vielleicht sogar sagen, es sei "dasselbe"...

Ganz abgesehen von der internationalen Ausstrahlung (die zumindest wenn man mit den Entwicklern von Machine Games spricht, nicht sonderlich stark ausfällt) ist diese erzwungene Selbstzensur nur äußerst schwer nachzuvollziehen und hinterlässt einen sehr fragwürdigen Nachgeschmack. Der freie Journalist Dominik Schott fragte im Auftrag von Spiegel Online bei Zenimax Deutschland nach und schrieb:

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"[Zenimax] wolle keineswegs Geschichtsrevisionismus betreiben, sondern mit Hilfe des fiktiven Ansatzes zeigen, 'dass ein repressives, menschenverachtendes, (...) Regime jederzeit für Angst und Schrecken sorgen kann und somit massiven Widerstand herausfordert.'"

Ein "warum" klärt diese Aussage nicht und sie gibt ebenfalls keine Antwort darauf, warum die Juden nun aus dem Spiel verschwinden mussten. Die Sozialadäquanz-Klausel unseres Gesetzbuches schreibt jedenfalls nicht vor, die Weltreligion und ihre Anhänger aus Medienformaten zu entfernen. Bethesda hat sich freiwillig zu der Änderung in der deutschen Verkaufsversion entscheiden. International wird ohnehin nicht zwischen dem deutschen Hitler-Regime und einer übergeordneten, böseren Macht unterschieden, es geht konkret darum die bösen Deutschen aus der Vergangenheit zu töten und ihr alternatives Zukunftsszenario abzuwenden.

Zurecht wird darüber diskutiert, ob Politik und Unterhaltung in dieser Form aufeinander treffen sollten. Während unserer Recherchen haben wir kaum einem Beitrag gefunden, in dem die Rezeption vom neuen Wolfenstein die leider wieder viel zu aktuellen politischen Anleihen klar von der deutlichen interaktiven Fiktion trennen. Vielmehr scheint Wolfenstein II: The New Colossus für einige Spieler gerade aufgrund dieser Parallelen zu einem besseren Spiel zu werden. Die Nationalsozialisten sind europaweit seit Jahren wieder im Kommen und deshalb ist es natürlich ein politisches Statement ein Spiel zu veröffentlichen, in dem man 20 Stunden lang Nazis abknallt und ihnen auf brutalste Art und Weise Körperteile abschlägt. Dann gleichzeitig nicht den Mut zu haben und über die Opfer zu sprechen, das ist meiner Meinung nach ein unglaubliches Versäumnis und offen gestanden nichts Geringeres als eine Schande.

Ein Streitgespräch zwischen Redakteuren der GameStar mit dem WASD-Chefredakteur und Herausgeber Christian Schiffer wollen wir euch an dieser Stelle empfehlen. Darin sprechen drei erfahrene Redakteure über die genaueren Details der Selbstzensur, streiten über die Daseinsberechtigung von Nazis in Videospielen und stellen vergleichbare Projekte vor. Einen ausgewählten Einblick der internationalen Presse auf Zenimax' Distributionsstrategie bekommt ihr auf Motherbord.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass ich Wolfenstein II: The New Colossus oder einem Fan des Spiels keinesfalls die spielerische Komponente absprechen möchte, denn ein toller Shooter ist das Spiel ganz sicher geworden. Von einer erwachsenen Kunstform und Publishern, die diese frohlocken, erwarte ich heutzutage einfach mehr Rückgrat und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Und manchmal hilft es auch einfach nur, einmal mehr über seine Worte nachzudenken und den Unterschied zwischen "dasselbe" und "das gleiche" zu finden. Wie denkt ihr über das Thema? Macht es spielerisch für euch keinen Unterschied, ob es reale Bezüge zu unserer Geschichte gibt oder vertretet ihr die Meinung, dass Nazis und Juden aus "Kinderspielen" rausgehalten werden sollten?

Quelle und vielen Dank an: Spiegel Online.

Wolfenstein II: The New Colossus

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